Meine Erlebnisse nach ca. 2,5 Jahren:
Geige lernen kann man natürlich mit jedem Alter, selbst ohne musikalische Vorkenntnisse. Dass es nicht mehr für die Berliner Symphoniker reicht, sollte jedem normalen Menschen klar sein. Aber warum sollte man sich auch für ein Hobby völlig utopische Ziele setzen? Nur weil man mit dem Laufen beginnt, muss das Ziel ja auch nicht eine Marathonteilnahme sein…

Die Noten und Musiktheorie lernt man beim Spielen automatisch mit, denn angefangen von den 4 leeren Saiten (also 4 Noten) kommen mit jeder neuen Fingerstellung weitere schrittweise hinzu. Für mich ist der Weg das Ziel, also die erste Lage mit allen Griffarten kennenzulernen und zu sauber beherrschen, den Klang zu verbessern um meine stetig wachsende Liste der Stücke, die ich gerne spielen würde, in Angriff nehmen zu können. 
Bei YouTube findet man diverse Videos von erwachsenen Anfängern, die ihren Fortschritt im Laufe der Zeit präsentieren. Ich war davon anfänglich schwer beeindruckt und euphorisch, was man alles z.B. nach einem Jahr spielen kann, z.T. inkl. Vibrato. Mittlerweile schaue ich mir solche Heißlufttypen nicht mehr an. Wer später mal wirklich gut spielen möchte, muss insbesondere am Anfang sehr viel Zeit für solide Grundlagen investieren, z. B. den Bogen nicht nur in der Mitte spielen, die Finger der linken Hand (inkl. Daumen!) locker und entspannt zu haben, den ersten Finger (=Ankerpunkt) sauber zu setzen und dabei lernen, den richtigen Ton zu hören usw. Auch das Spielen mit geschlossenen Augen ist sehr hilfreich zur Verbesserung der Bogenführung, aber vor allem übernimmt dann das Gehör die Kontrolle, was für das Geigenspiel natürlich immens nützlich ist.

Geige lernen ist eine tolle Erfahrung mit Höhen und Tiefen. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass man dafür viel Zeit aufbringen muss, und das sehr regelmäßig. Idealerweise spielt man täglich, und das systematisch. Wenn man nur 10 oder 15 Minuten aufbringen kann, kommt man zwar auch irgendwie vorwärts, keine Frage, aber für einen deutlichen Fortschritt, der sich natürlich dann auch sehr motivierend auswirkt, sollte man sich im Klaren sein, dass man schon einiges mehr an Zeit investieren muss. Oder andersrum: Ohne stetiges Üben kommt man definitiv nicht befriedigend vorwärts und dann verliert man irgendwann die Lust.
Mit einer Violine geht man auf eine lange, aber sehr lohnenswerte Reise. Wenn der Weg dabei das Ziel ist, wird es dann auch klappen…
Von nahezu allen Stücken, die ich lerne, habe ich mir mittlerweile Klaviermusik für die Begleitung beschafft. Damit macht das Üben viel mehr Spaß. Es hört sich einfach klasse an, gemeinsam mit dem Klavier zu spielen und man lernt schließlich auch, sich auf ein anderes Instrument einzulassen. Das Beschaffen ist total einfach, z.B. mit Musescore, Youtube oder bei professionellen Anbietern wie Geigentraum. Da gibt es Partituren in Hülle und Fülle. Nach dem Herunterladen kann man sie bei Bedarf sogar in einfache #-Tonarten transponieren und die Klaviermusik als mp3-Datei abspeichern. Zum Üben spiele ich diese Musik geschwindigkeitsreduziert mit einer App und einem Bluetooth Lautsprecher ab.
Sehr viel Augenmerk ist auf eine entspannte Haltung zu legen und hier meine ich insbesondere die linke Hand und im Speziellen den Daumen, der bei Anfängern gerne den Fingern mehr oder weniger kräftig entgegendrückt. Hilfreich fürs Fortkommen ist es, wenn man abseits des Spielens den linken Arm und die Finger (z.B. Spock Gruß…) durch Eindrehen (Dehnungsübungen) flexibler macht. Schließlich musiziert man im Grenzbereich der Beweglichkeit und das ist speziell als Erwachsener schon eine Herausforderung, soll doch der gesamte Bewegungsablauf möglichst locker sein. Das Tolle dabei ist, dass sich der Körper diesen neuen Anforderungen anpasst. Leider nicht so schnell wie man es gerne hätte, aber immerhin. Und was anfänglich quasi unmöglich zu bewerkstelligen erscheint und total verkrampft aussieht, gelingt nach und nach immer besser.
Ähnliches gilt für die Bogenhand. Eine Lockerheit der Finger ist da ebenso notwendig, und wahrscheinlich sogar noch wichtiger, um einen weichen Strich zu haben.
Die Unabhängigkeit von linker und rechter Hand ist ebenso ein Thema. Dies habe ich konkret gemerkt, als es darum ging, Dynamik einzubauen. Um laut zu spielen, benutzt man mehr Bogen und auch mehr Zeigefingerdruck, und das führt postwendend dazu, dass man auch mit der linken Hand mehr zudrückt.
Mir wird immer mehr klar, dass der Fortschritt beim Geige spielen eminent viel mit Feinmotorik zu tun hat und dazu heißt es Üben, Üben und nochmals Üben.
Ich beginne auch nicht ständig mit neuen Stücken – ich bevorzuge es, Stücke wirklich schön spielen zu können und das gelingt viel besser, wenn man sich nicht mehr auf die Basics (Noten, Rhythmus, Bogeneinteilung…) konzentrieren muss und sich dafür auf andere Dinge wie z.B. der Musikalität (Dynamik, Phasierung) widmen kann.     
Die Geige ist ein Spiegel der eigenen Gemütslage. An schlechten Tagen gelingt nichts richtig, dann legt man diese kleine Diva besser gleich wieder zur Seite. Es kommt aber auch schon andererseits vor, dass ich die Zeit beim Spielen total vergesse und schon mal einen Folgetermin verschwitzt habe…
Im August 2022 habe ich an einer tollen Musikwoche in Benediktbeuern teilgenommen www.musikwoche-benediktbeuern.de, welche jährlich stattfindet. Für 2023 habe ich mich bereits wieder angemeldet. Dort habe ich beim täglichen, intensiven Einzelunterricht mit Rieding Op. 35, Teil 1 begonnen. Eine wunderschöne melodische Sonate, von der man nicht mehr loskommt.