Meine Erlebnisse nach ca. 4 Jahren:
Ein wenig Klartext am Anfang: Geige lernen ist eine wunderbare Erfahrung, selbst ohne musikalische Vorkenntnisse ist wie bei mir. Jedoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass das nicht von heute auf morgen so funktioniert. Wenn man hört oder liest, dass dafür 15 min pro Tag, regelmäßig geübt,  ausreichend seien, dann wird das schon irgendwie funktionieren, jedoch wird der Fortschritt ziemlich langsam sein. Das Erlernen all dieser feinmotorische Dinge ist nun einmal ziemlich zeitintensiv. Nur wer bereit ist, mehr Zeit zu investieren, mit einem gut durchdachten Übungskonzept, wird auch schneller vorwärts kommen.
Entgegen landläufiger Meinung kann man Geige natürlich mit jedem Alter lernen. Dass es nicht mehr für die Berliner Symphoniker reicht, sollte jedem normalen Menschen klar sein. Aber warum sollte man sich auch für ein Hobby völlig utopische Ziele setzen? Nur weil man mit dem Laufen beginnt, muss das Ziel ja auch nicht eine Marathon-Teilnahme in New York sein…
Die Noten und Musiktheorie lernt man beim Spielen automatisch mit, denn angefangen von den 4 leeren Saiten (also 4 Noten) kommen mit jeder neuen Fingerstellung weitere schrittweise hinzu. Für mich ist der Weg das Ziel, also die erste Lage mit allen Griffarten kennenzulernen und zu sauber beherrschen, den Klang zu verbessern um meine stetig wachsende Liste der Stücke, die ich gerne spielen würde, in Angriff nehmen zu können. Nach 3 Jahren des Spielens finge ich mit der 3. Lage an.

Bei YouTube findet man diverse Videos von erwachsenen Anfängern, die ihren Fortschritt im Laufe der Zeit präsentieren. Ich war davon anfänglich schwer beeindruckt und euphorisch, was man alles z.B. nach einem Jahr spielen kann, z.T. inkl. Vibrato. Mittlerweile schaue ich mir solche Heißlufttypen nicht mehr an. Wer später mal wirklich gut spielen möchte, muss insbesondere am Anfang sehr viel Zeit für solide Grundlagen investieren, z. B. mit dem Bogen nicht nur in der Mitte spielen, die Finger der linken Hand (inkl. Daumen!) locker und entspannt zu haben, den ersten Finger (=Ankerpunkt) sauber zu setzen und dabei lernen, den richtigen Ton zu hören usw. Auch die weiche Bogenhaltung bedarf viel Zeit. Das Spielen mit geschlossenen Augen hat mir sehr geholfen bei der Verbesserung der Bogenführung, aber vor allem übernimmt dann das Gehör die Kontrolle, was für das Geigenspiel natürlich unerlässlich ist.

Geige lernen ist eine tolle Erfahrung mit Höhen und Tiefen. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass man dafür idealerweise täglich spielt, und das mit einem guten Plan. Also nicht nur irgendwelche Stücke spielen (und dabei immer wieder die gleichen Fehler machen), sondern die Dinge, z.B. einzelne Passagen, die nicht gut klappen, intensiv üben. Dazu gehört leider auch ein wenig technisches Training wie z.B. Tonleitern. Ohne stetiges und vor allem systematisches Üben kommt man nicht befriedigend vorwärts und dann verliert man irgendwann die Lust. Es gibt Tage, an denen nichts vernünftig klappt, vor allem, wenn man einen stressigen Tag oder Ärger hatte. Dann sollte man lieber aufhören und später wieder starten. Mit einer Violine geht man auf eine lange, aber sehr lohnenswerte Reise. Der Weg ist dabei das Ziel…

Von nahezu allen Stücken, die ich lerne, habe ich mir mittlerweile Begleitmusik beschafft. Damit macht das Üben viel mehr Spaß. Es hört sich einfach klasse an, gemeinsam z. B. mit einem Klavier oder gar mit einem Orchester zu spielen, schließlich lernt man parallel auch, anderen zuzuhören und sich auf andere Instrumente (Rhythmen) einzulassen. Das Beschaffen ist total einfach, z.B. mit Musescore, Youtube oder bei professionellen Anbietern wie Geigentraum. Es gibt Partituren in Hülle und Fülle. Nach dem Herunterladen kann man sie bei Bedarf sogar in einfache #-Tonarten transponieren und die Begleitmusik als mp3-Datei abspeichern. Zum Üben spiele ich diese Musik zunächst geschwindigkeitsreduziert mit einer App und einem Bluetooth Lautsprecher ab.
Sehr viel Augenmerk ist auf eine entspannte Haltung zu legen und hier meine ich insbesondere die linke Hand und im Speziellen den Daumen, der bei Anfängern gerne zusammen mit den Fingern den Geigenhals würgt. Speziell für Erwachsene ist es hilfreich fürs Fortkommen, wenn man abseits des Spielens den linken Arm und die Finger (z.B. Spock Gruß…) durch Bewegung und Eindrehen (Dehnungsübungen) flexibler macht. Schließlich musiziert man im Grenzbereich der Beweglichkeit und das ist in einem nicht mehr jugendlichen Alter schon eine gewisse Herausforderung, soll doch der gesamte Bewegungsablauf total locker sein. Aber das Faszinierende dabei ist, dass sich der Körper diesen neuen Anforderungen anpasst. Leider nicht so schnell wie man es gerne hätte, aber immerhin. Und was anfänglich quasi unmöglich zu bewerkstelligen erscheint und total verkrampft aussieht, beispielsweise die Verwendung des kleinen (4.) Fingers gelingt nach und nach immer besser.
Ähnliches gilt für die Bogenhand. Eine Lockerheit von Hand und Finger ist da ebenso notwendig, eigentlich klanglich sogar noch wichtiger, um einen weichen Strich zu haben.
Die Unabhängigkeit von linker und rechter Hand ist ebenso ein Thema. Dies habe ich konkret gemerkt, als es darum ging, Dynamik einzubauen. Um laut zu spielen, benutzt man mehr Bogen und auch mehr Zeigefingerdruck, und das führt postwendend dazu, dass man auch mit der linken Hand mehr zudrückt. Mir wurde immer mehr klar, dass der Fortschritt an der Geige eminent viel mit Feinmotorik zu tun hat. Beim Üben muss man sich immer wieder gegenwärtigen,  locker zu sein. Sobald man anfängt zu verkrampfen, sofort stoppen, relaxen und erst dann weitermachen.
Ich beginne auch nicht ständig mit neuen, schwierigeren Stücken – Ich bevorzuge es, Stücke wirklich schön spielen zu können und das gelingt viel besser, wenn man sich nicht mehr auf die Grundlagen (Noten, Rhythmus, Bogeneinteilung…) konzentrieren muss und sich dafür auf andere Dinge wie z.B. der Musikalität (Klang, Dynamik, Phasierung) widmen kann.
Die Geige ist ein Spiegel der eigenen Gemütslage. An schlechten Tagen gelingt nichts richtig, dann legt man diese kleine Diva besser gleich wieder zur Seite. Es kommt aber auch schon andererseits vor, dass ich die Zeit beim Spielen total vergesse und schon mal einen Folgetermin verschwitzt habe…
Seit 2022 nehme ich jährlich an einer tollen Musikwoche in Benediktbeuern statt www.musikwoche-benediktbeuern.de. Dort kann man eine Woche lang intensiv mit anderen an Kammermusikstücken, sich an Orchesterstücke heranwagen, mit hochkompetenten Lehrer/innen und täglichen Unterricht. Bei schönem Wetter trifft man sich im Garten des Klosters und spielt in der freien Natur. Wer einmal da war, kommt immer wieder.
2022 habe ich beim intensiven Einzelunterricht mit Rieding Op. 35, Teil 1 begonnen. Eine wunderschöne melodische Sonate, von der man nicht mehr loskommt.
Gleiches gilt für das Millies Concertino im Mozart Stil, was ich anschließend in Angriff genommen habe.
Das Spielen im Rockorchester gibt mir unglaublich viel zusätzliche Motivation. Eine Balance zu finden zwischen didaktisch sinnvollem Geige lernen und das Mitspielen von diesen teilweise sehr schnellen Stücken in Kombination mit ungünstigen Tonarten ist natürlich eine Herausforderung.